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Takaichi erste japanische Premierministerin: Wer ist sie, und was will sie?

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Jetzt steht es also fest: Zum ersten Mal in der Geschichte des demokratischen Japans gibt es eine Frau an der Spitze. Nachdem bei der ersten parteiinternen Wahl erwartungsgemäß keiner der 5 Kandidaten die einfache Mehrheit erreichen konnte, setzte sie sich bei der Stichwahl gegen den Zweitbesten, Koizumi, mit 185 gegen 156 Stimmen durch. Das kommt ein bisschen unerwartet, denn andere Kandidaten wurden anfangs höher gehandelt. Doch wer ist Takaichi, und was will sie?

Bei der Wahl ging es um den Posten des Parteivorsitzes bei den Liberaldemokraten. Die haben zwar die Mehrheit in beiden Kammern bei den letzten beiden Wahlen eingebüßt, doch da sie noch immer stärkste Kraft sind eine geeinte Opposition nicht in Sicht, wird der Parteivorstand automatisch auch zum neuen Premierminister. Unter den 5 zur Wahl angetretenen Kandidaten ist Takaichi – in einer ohnehin schon Mitte-rechts ausgerichteten Partei die mit Abstand am weitesten rechts angesiedelte Kandidatin. Takaichi Sanae, so ihr vollständiger Name, wurde 1961 geboren und ist 64 Jahre alt. Sie graduierte von der Nippon University und spezialisierte sich dort auf Psychologie, mit einem besonderen Interesse an Sozialpsychologie. Sie hat eine lange und abwechslungsreiche Karriere vorzuweisen – so war sie unter anderem zwei Jahre in den USA als Congressional Fellow angestellt, danach war sie jahrelang als Ansagerin im Fernsehen zu sehen – bei einem Nachrichtenprogramm zusammen mit Rembō, später eine der wichtigsten Oppositionspolitikerinnen. Beim zweiten Anlauf schaffte sie es 1993, zum ersten Mal in das japanische Unterhaus gewählt zu werden, damals noch als Parteilose. Als sie beim ersten Versuch eine herbe Niederlage hinnehmen musste, behauptete sie später, dass üble Verleumdungen über sie im Umlauf waren – das konnte jedoch nie bewiesen werden. Vor 1996 war sie in liberaldemokratischen Splitterparteien aktiv, bis sie dann letztendlich den Liberaldemokraten beitrat und dort langsam aber sicher die Karriereleiter hochkletterte. 2004 heiratete sie den Unterhausabgeordneten Yamamoto – für ihn war das seine zweite Hochzeit, weshalb er keine große Zeremonie abhalten wollte, doch Takaichi bestand auf eine vollständige Hochzeit mit großem Brautkleid und allem, und so geschah es dann auch.

2005 trat ihr direkter Vorsitzender in der Parteihierarchie aus Protest gegen die Pläne des damaligen Premierninisters Koizumi (gegen deren Sohen sie nun in der Stichwahl antrat), die bis dahin staatliche Post zu privatisieren, aus der Partei aus – sie rückte nach und wurde 2006 in der ersten Amtszeit des Premierministers Abe zur Ministerin mit besonderem Ressort (sie hatte da gleich mehrere Aufgaben inne). Als einzige Ministerin besuchte sie damals am Gedenktag des Kriegsendes den Yasukuni-Schrein, eine für China und Korea schon immer äußerst provokative Handlung, die jedes Mal für diplomatische Verwerfungen sorgt.

2011 bemerkte sie auf einer Rede aus Anlass zum 150-jährigen Jubiläums Deutsch-Japanischer Beziehungen, dass “die, die Japan und Deutschland (Anm: im 2. Weltkrieg) als Aggressoren bezeichnet haben, ein falsches Geschichtsbild haben”.

2016 – nunmehr Ministerin für Innere Angelegenheiten und Kommunikation – drohte sie Fernsehsendern, die “nicht fair über die Regierungspartei berichten”, mit der Abschaltung. Ein Jahr später liess sie sich von ihrem Gatten scheiden, nur um ihn 5 Jahre später erneut zu heiraten.

2023 kam ihre Drohung gegenüber Fernsehanstalten, sie bei zu kritischer Berichterstattung abzuschalten, erneut ins Gespräch, denn der Gedanke löste auch in Japan, schon damals kein Musterbeispiel für Pressefreiheit, große Sorge aus. Takaichi wurde zu einer Stellungnahme gedrängt, und sie sagte sinngemäß, dass das Papier mit der besagten Bedrohung ein “explosives Papier sei und sicherlich eine Fälschung – sollte sich herausstellen, dass dies keine Fälschung sei und tatsächlich in ihrem Resort erstellt wurde, werde sie die Konsequenzen ziehen und zurücktreten”. Das Resultat: Es konnte einwandfrei festgewiesen werden, dass das Papier echt war. Übernahm sie wie versprochen die Verantwortung? Nein.

Beim Wahlkampf im Jahr 2025 erwähnte sie in einer kämpferischen Rede ein durch die sozialen Medien geisterndes (und ziemlich sicher echtes) Video, in dem zu sehen ist, wie ein ausländischer (Anmerkung; sehr wahrscheinlich chinesischer) Mann in Nara ein Reh tritt – sie nimmt dabei das Video zum Anlass, eine weit härtere Gangart gegenüber Ausländern zu fordern. Sowohl Japaner als auch Ausländer werfen ihr daraufhin – zurecht – Rechtspopulismus vor, denn selbstverständlich ist das Video für Ausländer genau so schwer zu ertragen wie für Ausländer – und natürlich gibt es auch Japaner, die so schlimme Dinge tun.

Die erste Meldung der Premierministerin ist, Achtung Sarkasmus, schon mal vielversprechend: Sie möchte den Begriff “Work-Life-Balance” abschaffen und fordert, die Menschen sollten “Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten”. SIe kritisiert schon lange das japanische Sozialsystem, vor allem, weil es zu viel Neid schüre, und ist der Meinung, dass die ganze Situation rund um Gleichstellung aus dem Ruder gelaufen sei. Wer jedoch auf welche Weise das Sozialsystem ausnutzt läßt sie offen: Die in Japan lebenden Ausländer können es jedenfalls nicht sein, denn verschiedene Organisationen haben bereits festgestellt, dass Ausländer mehr in das System einzahlen als sie aus dem System nehmen. Natürlich gibt es auch vereinzelte schwarze Schafe, aber das ist ja überall so.

Warum sich die Mitglieder der Liberaldemokraten nun mehrheitlich für Takaichi ausgesprochen haben, ist mir persönlich ein Rätsel: Einzig die Sorge davor, noch mehr Stimmen an die rechtspopulistische Sanseitō zu verlieren, kommt mir da in den Sinn. Oder eben eine diffuse Angst in der Partei vor Überfremdung des Landes.

Welche konkreten Pläne Takaichi nun vorlegen – und verwirklichen wird, bleibt abzusehen. Natürlich hat sie nicht nur Schlechtes im Sinn – sie möchte zum Beispiel das Land in Sachen Technologie voranbringen und unter anderem Programmieren und KI als Unterrichtsfach einführen. Außenpolitisch wird es jedoch auf jeden Fall steil bergab gehen, wenn sie weiter an ihrer revisionistischen Linie festhält. Für die Ärmsten des Landes wird es nun wahrscheinlich noch schlimmer: Es ist ja schön und gut, wenn sie “Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten” als Devise ausgibt, aber schon jetzt – und seit langem – arbeiten viele Japaner bis zum Anschlag, und für immer mehr kommt nicht genug dabei herum. Die Aufforderung von Takaichi klingt da wie blanker Hohn.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

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